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Prognose und Disposition von Frischwaren: Effizient im Omnichannel- Lebensmittelhandel

Nov 7, 2017 7 min

Noch vor ein paar Jahren war die Meinung zum Thema E-Commerce in den Chefetagen der meisten Lebensmitteleinzelhändler einhellig: „Das brauchen wir nicht“. Wie die Zeiten sich geändert haben. Nun baut Amazon sein Lebensmittelgeschäft durch die Übernahme von Whole Foods aus, es sind reine Online-Lebensmittelhändler aufgetaucht, diese und Lieferdienste wie Hello Fresh gewinnen Marktanteile und einige alteingesessene Lebensmittelketten bauen den Onlinehandel aus. Es ist klar: E-Commerce für Lebensmittel ist keine vorübergehende Erscheinung. Gleichzeitig drücken Discounter wie Aldi und Lidl aggressiv die Preise.

Mit der zunehmenden Vielfalt von Vertriebs- und Abwicklungskanälen wird auch das Einzelhandelsgeschäft komplexer. Für Lebensmittelhändler ist es deshalb unabdingbar, Ausgaben zu reduzieren, wenn sie gewinnbringend wirtschaften wollen – besonders in kostenintensiven Bereichen wie Workforce und Verderb. Wesentliche Voraussetzung für die Steigerung der betrieblichen Effizienz ist es, Ressourcen sowie Bestand und Personal passgenau auf den Bedarf abzustimmen. Deshalb sind präzise Prognosen entscheidend.

Die Balance zwischen geplanter Verfügbarkeit und prognostiziertem Verderb, insbesondere für schnell verderbliche Produkte wie Fisch und Fleisch, erfordert das Einbeziehen der Haltbarkeit in die Gleichung: hundertprozentige Verfügbarkeit bedeutet automatisch mehr Verderb. Zudem müssen Einzelhändler die Auswirkungen von Kampagnen und Preisänderungen einkalkulieren. Diese beschränken sich nicht nur auf das Produkt im Angebot, sondern auch auf andere Artikel, deren Nachfrage sich durch Kannibalisierungseffekte verringert. Natürlich müssen auch Feiertage und saisonale Schwankungen bei der Prognostizierung berücksichtigt werden.

Omnichannel-Aktivitäten machen es nicht einfacher: Eine schlechte Produktverfügbarkeit fällt dem Online-Kunden schneller ins Auge, wenn die bestellten Artikel durch Ersatzprodukte ausgetauscht werden müssen. Das Online-Lebensmittelgeschäft wird zudem dadurch erschwert, dass die Vorlieben der Kunden sich verändert haben: statt abgepackter und industriell verarbeiteter Lebensmittel werden heute eher gesunde Frischwaren nachgefragt.

Diese Präferenz des Kunden für frische und unverarbeitete Lebensmittel erschwert es Händlern, Online-Lebensmittel-Kanäle zu schaffen: Die schnelle Lieferung von Frischwaren ist teuer und schwierig zu bewerkstelligen. Auch legen Online-Kunden viel Wert auf Mindesthaltbarkeitsdaten und Frische der gelieferten Waren, da sie diese bei der Bestellung nicht einsehen und beispielsweise die Tomaten nicht in die Hand nehmen können, um deren Reife zu prüfen.

Aufgrund der Herausforderungen des Online-Handels halten sich viele US-Lebensmittelhändler bisher zurück, entsprechende Kanäle zu schaffen. Dennoch hat der Online-Handel mit Lebensmitteln großes Potenzial. Immer mehr Kunden kaufen Lebensmittel auch online: Allein die Verkaufszahlen für online gehandelte Lebensmittel in den USA werden für 2017 mit einem Wachstum von 11 Prozent veranschlagt.

Der Übergang vom traditionellen Lebensmittelhandel hin zum Omnichannel-Handel bringt neue Aspekte bei der Nachfrage-Prognostizierung ins Spiel. Zum Beispiel die Frage der Prognostizierung pro Vertriebs- und Abwicklungskanal, wie mit dem Auftreten von Out-of-Stocks umgegangen werden soll, und wie die Betriebsabläufe optimiert werden können. Aufgrund des wachsenden Interesses am digitalen Lebensmittel-Handel haben wir einige Tipps zusammengestellt, die Ihnen zum Erfolg im Omnichannel-Lebensmittelhandel verhelfen.

Prognosen für verschiedene Vertriebs- und Abwicklungskanäle

Der Omnichannel-Lebensmittelhandel hat viele Formen und Ausprägungen. Online-Bestellungen können in Distributionszentren, „Dark Stores“* oder Filialen für die Zustellung an den Kunden kommissioniert werden. Einzelhändler nutzen sogar Drittanbieter, um die Abholung der Waren und deren Zustellung zum Kunden nach Hause abzuwickeln. So reduzieren sie die Kosten für eigene LKW. Viele bieten auch weniger Margen-belastende Alternativen wie die Abholung von Online-Bestellungen in der Filiale oder sogar eine Drive-In-Abholoption an.

Eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Prognostizierung ist, dass Händler ihre Online-Umsätze mit dem richtigen Abwicklungskanal verknüpfen. Beispielsweise sollten in einer Filiale kommissionierte Online-Bestellungen in der Bedarfsprognosen-gesteuerten Disposition für diese Filiale berücksichtigt werden – auch wenn die tatsächlichen Verkaufs-Transaktionen dem Online-Kanal zuzurechnen sind.

Die Grundlage für Prognosen lässt sich jedoch nicht damit bilden, Filial-Verkäufe mit Online-Bestellungen in einen Topf zu werfen. In vielen Fällen folgen Online-Bestellungen einem anderen Absatzschema als Filial-Umsätze. Wir haben beispielsweise beobachtet, dass die Möglichkeit, online einfach Preise zu vergleichen, oft eine noch stärkere Nachfrage bei Kampagnen verursacht. Zudem kann der Erwerbszeitpunkt zwischen Filiale und Online-Bestellung für die wichtigen Feiertage abweichen. Online-Kunden geben beispielsweise große Bestellungen schon vor dem Feiertag auf, während in Filialen in letzter Minute ein Run auf Produkte stattfindet, deren Besorgung die Kunden zuvor vergessen haben. Das wiederum bedeutet, dass der Online-Absatz separat prognostiziert werden muss, um die abweichenden Nachfrageverhaltensmuster der Vertriebskanäle miteinzubeziehen.

Der Omnichannel-Handel verstärkt die Notwendigkeit einer detaillierten Prognostizierung. Zusätzlich zur Prognose pro Filiale benötigen Omnichannel-Händler eigene Prognosen pro Verkaufs- und Abwicklungskanal.

Sortiment und Verfügbarkeit verwalten

Lieferengpässe und Produktsubstitutionen stellen in allen Kanälen eine Herausforderung dar. In der Filiale erscheint der durch Out-of-Stocks nötige Griff zum Ersatzprodukt dem Kunden oft fast wie eine unterbewusste Entscheidung – Online-Konsumenten dagegen fallen diese Substitutionen viel stärker ins Auge und sie wirken sich wesentlich negativer auf das Einkaufserlebnis aus. Das hat viele Lebensmittelhändler dazu veranlasst, einen mehrstufigen Prozess einzuführen, in dem Online-Kunden jede Produktsubstitution prüfen können. So bleibt die Kundenzufriedenheit auf hohem Niveau. Jedoch beeinträchtigen diese Produktersetzungen die bereits geringen Margen zusätzlich, da hier dem Kunden oft ein teureres Produkt zum Preis des ursprünglich gewünschten Artikels angeboten wird.

Eine bessere Alternative für Online-Lebensmittelhändler ist es, sofort zu reagieren, sobald ein Out-of-Stock für ein Produkt entsteht, und dieses, wenn möglich, aus dem Angebot zu nehmen. Hier empfiehlt sich dringend, genau zu berechnen, wie viel Bedarf aufgrund von Out-of-Stocks und der Sortimentsaktualisierung nicht bedient wurde. Nur so kann der künftige Absatz präzise prognostiziert werden. Die Prognose muss die Zeitspanne zwischen dem Ausverkauf des Produkts und dem Punkt, an dem das Produkt aus dem Online-Sortiment genommen wurde, berücksichtigen.

Prognosen für die Workforce-Optimierung

Im stationären Lebensmittelhandel verursacht das Filialpersonal die höchsten Kosten: rund 14 Prozent der Umsätze. Allerdings übernehmen Kunden hier einen großen Teil der Arbeit, indem sie die gewünschten Waren selbst zusammenstellen. Findet der Verkauf online statt, müssen Händler die Kommissionierung ausführen. Eine extrem arbeitsintensive Aufgabe, unabhängig davon, ob sie im Distributionszentrum, Dark Store oder in der Filiale erfolgt: Die Produkte müssen stückweise bearbeitet werden, statt im Karton.

Omnichannel-Lebensmittelhändler müssen also sowohl Volumen als auch Zeit der Kommissionierung genau vorhersagen. Nur so halten sie versprochene Lieferzeiten ein, ohne dass dabei übermäßige Arbeitskosten anfallen.

Auf Absatzprognosen abgestimmtes Workforce-Management ist ein Schlüsselelement für effizienten Omnichannel-Lebensmittelhandel. Zur Verdeutlichung: Werden Online-Bestellungen in einer Filiale kommissioniert, braucht der Händler drei verschiedene Prognosen, um die Dienstpläne in der Filiale zu optimieren:

  1. Filialspezifische, viertelstündliche Absatzprognosen; dies bestimmt die Arbeit im Kassenbereich und Kundenservice,
  2. die Prognose für die täglich eingehenden Lieferungen; dies bestimmt die Warenabwicklung in der Filiale, wie z.B. die Regalbestückung,
  3. Online-Auftragspositionen, die innerhalb einer bestimmten Zeitspanne abgearbeitet werden müssen (je nach angebotenen Lieferzeiten); dies bestimmt die Kommissionierungsarbeiten.

Durch optimiertes Timing von Arbeitsaufgaben können Einzelhändler bei entsprechend geringem Kundenaufkommen in der Filiale beispielsweise Personal vom Kassenbereich für die Kommissionierung einsetzen. Eine vorausschauende Planung gewährleistet hervorragenden Service, während die Kosten sich im Rahmen halten.

Prognosen dienen also nicht nur der Optimierung der Bestände, sie sind auch notwendig, um die Betriebsabläufe zu verbessern. Dies zeigt einmal mehr, dass wir uns von der Absatzprognose auf Tagesebene verabschieden und bei der Prognostizierung ins Detail gehen müssen: Nur so ist planbar, wann im Tagesverlauf welche Kapazität benötigt wird.

Mehr Daten für bessere Prognosen

Im Lebensmittelhandel sind die Datenmengen bedingt durch die hohe Zahl von SKUs und die enorme Menge täglicher Transaktionen riesig. Trotzdem werden Prognosen häufig durch das Fehlen von Daten erschwert. Die Auswirkungen von Preisänderungen können beispielsweise überraschend schwer zu berechnen sein, da die Zahl relevanter Preisänderungen in der Vergangenheit begrenzt ist. Der Schlüssel zu einem besseren Datenmanagement ist deshalb, zu verstehen, dass es sich um einen fortwährenden Prozess handelt. Zu Beginn sollte man herausfinden, an welchen Stellen man bereits über gute Daten verfügt und wo noch Verbesserungsbedarf besteht.

Im stationären Handel ist es recht aufwändig, verschiedene Herangehensweisen in Bezug auf beispielsweise Preise, Kampagnen und Sortimente auszuprobieren: Es bedeutet immer viel manuelle Arbeit, wie das Aktualisieren von Regalschildern, das Herstellen von Werbematerialien und den Umbau von Warenträgern. Das macht das Geschäft starrer als man glaubt. Elektronische Regalschilder vereinfachen die Sache, aber Online-Stores bieten trotzdem eine viel bessere Möglichkeit, Experimente durchzuführen.

Das systematische Durchführen von Tests erlaubt es Omnichannel-Händlern beispielsweise die Reaktion der Kunden auf die Sortimentsbreite oder die Preissensitivität in verschiedenen Produktkategorien und für bestimmte Artikel zu verstehen. Dies wiederum ermöglicht eine ständige Verbesserung des Online-Angebots. Gleichzeitig können viele der gewonnenen Erkenntnisse auch auf den stationären Handel angewendet werden.

Ein Zusammenwirken von Menschen und Systemen

Um die Herausforderung der Absatzprognostizierung im Omnichannel-Handel zu bewältigen, müssen Menschen und Systeme zusammenarbeiten. Omnichannel-Lebensmittelhändler müssen in Planungsteams investieren. Diese sollten umfassend sowohl über Absatzplanung als auch Einzelhandelsprozesse, in denen Absatzprognosen wichtig sind, informiert sein.

Die Teams sollten deshalb mit Tools ausgestattet werden, die

  • einen hohen Grad der Automatisierung erlauben, um den enormen Datenmengen und der erforderlichen detaillierten Planung gerecht zu werden,
  • alle vorhandenen Planungsinformationen und -daten nutzen können. Ein Beispiel wäre die Anwendung von Machine-Learning bei der Prognostizierung von Kampagnen, um die Auswirkungen von Kampagnenart und -produkten, Preis und Platzierung festhalten zu können,
  • Absatzplanung und -prognostizierung für verschiedene Zwecke unterstützen, zum Beispiel für sowohl Auftragserfüllung als auch Workforce-Management, und
  • flexibel genug sind, sich einem sich stets wandelnden Geschäftsumfeld anzupassen.

Der Onlinehandel mit Lebensmitteln hält einige Herausforderungen bereit. Dennoch kann man davon ausgehen, dass der traditionelle Lebensmittelhandel sein Online-Geschäft weiter ausbaut. Dabei ist jedoch auch klar, dass es angesichts wachsender Preiskonkurrenz und steigender Arbeitskosten noch schwieriger wird, Margen zu sichern und zu steigern.

*Dark Stores sind Outlets oder Distributionszentren exklusiv für das Online-Shopping. Ein Dark Store ist meistens ein größeres Lager, das für Click & Collect oder zur Auftragsausführung von Online-Bestellungen genutzt wird. Dark Stores sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, auch wenn sie von innen wie herkömmliche Supermärkte aussehen.

Beitrag von

Maiju Heino

Former Commercial Product Manager, Grocery Retail